ReTHINK
Fortbildung zu Radikalisierungsprävention für Schülerinnen und Schüler mit
Flucht- und/oder Migrationserfahrung
Zur eindeutigen Benennung und Unterscheidung der Fortbildung von Lehrkräften von den Workshops mit Schülern und Schülerinnen wird das ReTHINK Lehrerfortbildungsprogramm in Zukunft den Namen ReACT tragen.
ReACT-Kompakt – digitales Angebot
Die Corona bedingten Maßnahmen, die Schließungen der Schulen und weitgehenden Lockdowns initiierten im letzten Jahr ein prägnantes und fokussiertes online Format unserer ReACT-Lehrerfortbildung, die wir unter der Projektbezeichnung ReACT-Kompakt am 11. Juni⋅2021 von 08:45 bis 16:00 Uhr erfolgreich und mit einem sehr guten Feedback durchführten. Im kommenden Förderzeit werden wir dieses Format aufrechterhalten, um an flexiblen Terminen Fragen und Themen, die im Rahmen der ReACT-Lehrerfortbildung aufgetaucht sind, zu vertiefen oder auch Erfahrungen der eigenen selbstständigen Rollenspieldurchführungen gemeinsam zu eruieren.
ReACT-Kompakt soll der Schulfamilie sowohl Hintergründe und Wissen zu Risikofaktoren und Radikalisierungsprozessen sowie der daraus abgeleiteten Zielrichtung, den Themen und zur Methodik der ReTHINK-Workshops vorstellen und erläutern. Für ein tiefgreifendes Verständnis der Faktoren, die eine Radikalisierung begünstigen können sowie das kognitive und emotionale Verständnis für die Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler, ist es denkbar, auf Rollenspiele aus den Workshops zurückzugreifen. Damit ist zudem gewährleistet, dass Personen, die die ReTHINK-Workshops selbst nicht verfolgen konnten, verstehen, wie die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern konkret aussieht. Damit wird der Boden dafür bereitet, dass die Teilnehmenden verstehen, wie sie ihre präventive Rolle ausgestalten können.
Insofern soll ReACT-Kompakt im Sinne einer nachhaltigen Projektimplementierung eine vor- und nachbereitende Funktion einnehmen und an Inhalte der Workshops anknüpfen. Das online Angebot richtet sich an die ganze bayerische Schulfamilie, unabhängig davon, ob zuvor an einer Fortbildung von MIND prevention teilgenommen wurde oder nicht. ReACT-Kompakt ist als eine ganztägige Veranstaltung von 09:00 bis 15:00 Uhr konzipiert.
Die konzeptionelle Verfeinerung des Fortbildungsangebotes wird im Laufe des Jahres 2022 schrittweise weiter ausgerollt.
Vor diesem Hintergrund wird der Schwerpunkt auf folgenden Themen liegen:
Radikalisierung
Werte: Geschlechterrollen und religiöse Geschlechterverhältnisse, Männlichkeit, Ansehen in der Gruppe, sozialer Druck und Anerkennung
Patriarchalische Strukturen
Antisemitismus, speziell muslimische Formen des Antisemitismus, Opfer- und Feindbilder, Schwarz-Weiß-Bilder und Verschwörungstheorien
Erziehung in den Familien
Aktuelle politische Themen in Bezug auf Islamismus und Salafismus
Identität
Kritisches Denken, Hinterfragen von Dogmen
Methodisch nähern sich die Fortbildungsleiter und -leiterinnen den Themen mittels der Theaterpädagogik. Ähnlich wie in den Workshops öffnen Rollenspiele die Diskussion innerhalb der Fortbildung. Die Rollenspiele sollen die Reflexion und Entwicklung von Handlungsalternativen für problematische Situationen aus dem Schulalltag anregen. Die psychologischen und pädagogischen Qualifizierungen der Fortbildungsleiter und -leiterinnen ermöglichen es den Lehrkräften, pädagogische Handlungsstrategien zu entwickeln.
Darüber hinaus sollen von MIND prevention pädagogische Konzepte entwickelt werden, die, angelehnt an die Methoden der ReThink-Workshops, die Teilnehmenden darin schult, selbst theaterpädagogische Methoden wie beispielsweise das Rollenspiel in ihrem Schulalltag einsetzen zu können (siehe nächste Punkte: ReACT und MINDnet).
In der Zusammenarbeit mit Berufsschulen im Rahmen von ReTHINK hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Vermittlung von jungen Menschen aus Berufsintegrationsklassen in Praktika oder Berufsausbildungen in den Ausbildungsbetrieben zu spezifischen kulturellen und strukturellen Herausforderungen führen kann. Dies betrifft auf der Seite der Auszubildenden beispielsweise die Akzeptanz von Hierarchien, die Zusammenarbeit mit dem jeweils anderen Geschlecht, die Berücksichtigung von religiösen Geboten im Einklang mit den Anforderungen des Arbeitsumfeldes (Speise-, Gebets, Verhaltensvorschriften). Auf der Seite des Ausbildungsbetriebes handelt es sich um kultursensitive Gesprächsführung, kulturelle Offenheit, aber auch Kenntnisse über die Radikalisierungsprozesse und präventive Schutzfaktoren.
Im außerschulischen Bereich spielen die Einbindung und Ertüchtigung durch die Schulung von Fachkräften u.a. in Erziehungsberatungsstellen, Kriseninterventionsdiensten sowie von Psychotherapeutinnen und -therapeuten für die wirkungsvolle Präventionsarbeit gegen Radikalisierung und Extremismus eine entscheidende Rolle. Deshalb soll sich das Fortbildungsformat ReACT über die Schulfamilie hinaus auch auf diese Zielgruppe erweitern. Die ganztägige Fortbildung wird von drei Fortbildungsleitern und -leiterinnen durchgeführt.
Lehrerfortbildung ReACT (Lefo-ReACT) – Die Befähigung zur Durchführung von Rollenspielen nach dem Vorbild von ReTHINK
Neben der Lehre ist der Schulalltag dort mit besonderen Herausforderungen verbunden, wo heterogene Schülergruppen mit spezifischen Konflikten auftreten. Mit den nach 2014 einsetzenden Migrationswellen wurden junge Menschen, darunter sehr viele männliche Schüler aus islamischen Kulturkreisen, in Deutschland eingeschult. Einige dieser Menschen haben inzwischen erfolgreich ihre ersten Abschlüsse erhalten und befinden sich im beruflichen Werdegang. Der Schulbetrieb erfolgt jedoch nicht immer unproblematisch und viele Lehrkräfte suchen nach praktikablen Lösungsansätzen. Während unserer Workshops und Fortbildungen berichten Lehrkräfte über viele Konfliktsituationen, deren Ursachen sie wenig oder kaum nachvollziehen können. Sie fühlen sich teilweise überfordert oder frustriert, zumeist wissen sie nicht genau, wie sie adäquat reagieren sollen. Die damit verbundene Unsicherheit beschreiben sie als eine stressige Belastung. Umso mehr sind Lehrkräfte meist darüber überrascht, wie sich diese Schülergruppen während unseren Workshops öffnen und sich sehr differenziert über Tabu-Themen wie Antisemitismus, religiöse Intoleranz, Homosexualität, Geschlechterrollen und Patriarchat austauschen können. Die im Kontext der ReTHINK-Veranstaltungen stattfindende Lehrerfortbildung ReACT (LeFo-ReACT) hat den Auftrag, unsere spezifische Methode der Herangehensweise an komplizierte Themen und damit die Stärkung demokratischer Einstellungen bei den Schülern und Schülerinnen den Lehrkräften zu vermitteln. Gleichzeitig möchten wir methodische Handlungsoptionen anbieten und so Überforderung und Unsicherheit im Umgang mit religiös-kulturell kodierten Verhaltensweisen beseitigen.
Die Lehrerfortbildung ReACT (LeFo-ReACT) ist als analoge Veranstaltung konzipiert, kann aber in Teilen auch in digitaler Form angeboten werden. Die Fortbildung besteht aus fünf Modulen (drei Theoriemodule und zwei Praxismodule) und wird in fünf aufeinanderfolgenden Tagen angeboten. In diesem Rahmen werden wir den Teilnehmenden unsere eigene Methode der "kultursensiblen dramaturgischen Pädagogik" beibringen, die unseren Workshops zugrundeliegt. Primäres Ziel hierbei ist es, über die theaterpädagogische Methode die Teilnehmenden der Fortbildung zur Durchführung von Rollenspielen nach der ReTHINK Methode zu befähigen. Im Mittelpunkt stehen spielerische Erzählungen über die eigenen biographischen Brüche und Wendungen gemeinsam mit dem Aufgreifen von Themenfeldern, die demokratische Wertevorstellungen betreffen. Dabei sollen die Teilnehmenden nach der Fortbildung imstande sein, in eigenständig konzipierten Workshops über ihre eigenen Rollenspiele eine dramaturgische Solidarität mit ihren jeweils eigenen Zielgruppen herzustellen. Schließlich wird die authentische Auseinandersetzung mit der eigenen Selbst- und Fremdwahrnehmung von zentraler Bedeutung sein. Das hierfür notwendige theoretische Wissen wird dabei nicht in Form einer seminaristischen Vorlesung, sondern pragmatisch im Stil einer Theaterwerkstatt im Kontext konkreter Fallbeispiele vermittelt.
Ziel dieser konzeptionellen Erweiterung ist im ersten Schritt eine praktikable, ausdifferenzierte und vertiefende Wissensvermittlung, im zweiten die Erreichung einer reflexiven Haltung und Handlungssicherheit sowie im dritten Schritt die Befähigung zum Einsatz von theaterpädagogischen Methoden in Schulalltag und Unterricht. Zu diesem Zweck liegt das Augenmerk auf einer Öffnung der Perspektive der Lehrkräfte für die Lebenssituation der Schüler und Schülerinnen sowie zugleich auf der Befähigung der "Mitglieder der Schulfamilie" im Umgang mit beispielsweise patriarchalen Strukturen, religiösen und antisemitischen Narrativen, die im Widerspruch zu Demokratie und Menschenrechten stehen. Das pädagogische Personal soll durch die Fortbildung befähigt werden, die jungen Menschen auf ihrem Weg zu Mündigkeit und kritischem Hinterfragen von Traditionen und religiösen Dogmen zu begleiten. Mit der Lehrerfortbildung ReACT soll eine Dialogplattform geschaffen werden, in der Lehrkräfte gemeinsam mit dem MIND prevention Team offen Fallbeispiele, Erfahrungen und Herausforderungen aus dem Schulalltag reflektieren und verschiedene alternative Handlungsoptionen erarbeiten können.